Manuskriptkarten

Das Interesse für Geschichte, besonders für die Antike, war allen intellektuellen Schichten der frühen Neuzeit gemein, bei Bernhard Paul Moll zeigte es sich im Sammeln von historischen Karten. Charakteristisch waren ihre ursprünglichen lateinischen und griechischen Toponyme, oft zierten sie Porträts von Herrschern aus dem Altertum oder Abbildungen von Münzen. Die Vorliebe des Sammlers für klassische Studien spiegelt sich auch in der Abteilung „Kuriositäten“ wider, wo sich die Sammlerleidenschaft für epigrafische Denkmäler zeigt. Viele von ihnen ließ er in den Atlas Austriacus und die weißen Kataloge zeichnen, wo er ihnen auch umfangreiche Abhandlungen lokaler Fachleute beifügte (für Mähren schrieb diese Texte z. B. Josef Dismas von Hoffer).

Vor Einsichtnahme in diese Abschnitte ist es notwendig einige Worte zum Ursprung und zur Autorschaft jener Zeichnungen hinzuzufügen. Sie entstanden nämlich auf Veranlassung von Moll selbst, der vielleicht die Lücke seiner Kollektion in der Region, der seine spezielle Vorliebe galt, schließen wollte. Möglicherweise zeigten sich hier auch seine wissenschaftlichen Ambitionen. Dem ursprünglichen handschriftlichen Katalog nach sollten sie Teil des sonst unbekannten Hand-Riss- Archivs von Kaiser Franz Stephan von Lothringen sein. Dessen Existenz ist jedoch sehr umstritten. Möglicherweise verbirgt sich hinter diesem Verweis der Versuch der Autoren ihre gefälschten Zeichnungen zu legitimieren. Die Existenz der Sammlung des Monarchen zu leugnen ist jedoch einstweilen ebenfalls nicht möglich. Ähnlich unbefriedigend ist auch die Klärung der Autorschaft dieser Zeichnungen. Die signierten Exemplare enthalten den Namen Geyer, von dem bekannt ist, dass er Offizier war, ihn mit einer konkreten Person zu identifizieren gelang jedoch bisher nicht. Das unterschiedliche Niveau der Zeichnungen deutet vielmehr darauf hin, dass es sich eher um eine ganze Werkstatt handelte. Neben den hochwertigen Plänen von Stadtbefestigungen vor allem aus dem ungarischen und teilweise auch italienischen Gebiet, zeugen die von Geyer signierten Zeichnungen in überwiegender Mehrheit von geringem Niveau, sichtlich schematisch bearbeitet und, wie nachgewiesen wurde, zu großen Teilen gefälscht. Thematisch können die Zeichnungen in vier Gruppen eingeteilt werden – Festungen, Bergwerke, Schlösser und Burgen und antike Denkmäler, hauptsächlich epigrafische. Die beigefügte Datierung ermöglicht die Einordnung des Bandes in den Zeitraum 1739 – 1756.

Die epigrafischen Darstellungen wurden teilweise bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Falsifikate entlarvt, trotzdem waren sie dank der Grazer Abschrift von Molls Katalog bis ins 20. Jahrhundert Gegenstand von Fachdiskussionen. Heute ist es schwierig zu beurteilen, ob es sich um vom Autor bewusste Fälschungen handelt, oder ob die ortsansässigen Adeligen den Ruf von Authentizität rund um die künstlichen römischen Denkmäler auf ihrem Landbesitz schufen, um ihrem Grundbesitz den Stempel von Altertümlichkeit aufzudrücken, dessen Abglanz auch ihre eigene Person berühren sollte. Diese konnte der Zeichner dann einfach reproduzieren. Am ehesten jedoch handelt es sich um fiktive Bilder, die laut schriftlicher Elaborate von Berichterstattern und manchmal vielleicht ergänzender Entwürfe ausgearbeitet wurden. Es scheint auch, dass die Autoren stellenweise versuchten sich die zugänglichen Karten für ihre Zeichnungen von der umliegenden Landschaft zu Nutze zu machen.

Bergwerke ist die Bezeichnung für ähnliche Abbildungen von Gruben und Bergbaugebieten. Bizarre Bergwerkgebiete voller naiv ausgeführter arbeitender Erdmännchen erwecken höchstens ein mildes Lächeln, ein ästhetisches Erlebnis widerfährt vermutlich nur einem Betrachter mit besonders ausgeprägtem Geschmack. Wenn die Zeichnungen eine Information vermittelten, dann am ehesten die vom wirklichen oder angeblichen Erzvorkommen vor Ort. Trotzdem können diese Zeichnungen nicht einfach als unbegreifliche Spinnereien verschrobener Adeliger aus der Zeit Maria Theresias abgetan werden. Das Interesse für Bergbau und die Förderung von Erzen dauerte das ganze 18. Jahrhundert lang, nur der Zugang zum Thema veränderte sich. Einen erheblichen Teil der ersten Hälfte bildete noch die barocke Wahrnehmung der Mineralien, in der sich die frühen wissenschaftlichen Auffassungen von Chemie, Mineralogie und Ökonomie mit Alchemie und Okkultismus vermischten. Rationales wurde noch nicht von Irrationalem unterschieden, wie in der Zeit der Aufklärung, und schon gar nicht davon abgegrenzt. Das geschah erst durch das Werk der Wissenschaft im 19. Jahrhundert. Bereits ab dem 17. Jahrhundert standen Edelmetalle im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sowohl von Wirtschafts- als auch Politiktheoretikern. Es handelte sich dabei um eine Reaktion auf die bis dahin unerkannten Auswirkungen der Inflation, negativen Handelsbilanz oder Staatsschulden. Die Mehrheit dieser ersten Ökonomen richtete ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf die Münzverbesserung oder Förderung von Erz, sondern versuchte selbst diese Naturerzeugnisse mittels Alchemie, die für einen relevanten Wissenschaftszweig gehalten wurde, zu gewinnen. An diesen Wissenschaften fanden vor allem Angehörige der gesellschaftlichen Eliten Gefallen. Es handelte sich meist um zwei Gruppen, aus denen sich die in einer Person verkörperten Wissenschaftler und Okkultisten rekrutierten – Beamten, gewöhnlich frisch geadelte, und hohe Aristokraten, auch Regenten. Diese früher isolierten Intellektuellen begannen im Laufe des 18. Jahrhunderts verschiedene Bünde Gleichgesinnter zu bilden, es entstanden Gelehrtengemeinschaften, Freimaurerlogen, Gesellschaften zur Förderung von Landwirtschaft und Kunst. Es formierte sich die aufklärerische Gesellschaft. Eine strenge Abgrenzung der Wissenschaft von der übrigen Welt, wie wir sie aus dem 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kennen, hatte sich jedoch noch nicht herausgebildet. Die Eliteclubs der Adeligen und Gebildeten gab einer Diskussion Raum, die tradierte Meinungen läuterte und zur Argumentation zwang, und bildete dadurch die Grundlage zur Entstehung der Wissenschaft. Das Verlangen nach Wissen über Mineralvorkommen weist auf die Angehörigkeit Bernhard Paul Molls, Auftraggeber dieser Bilder, zu den Eliteschichten hin, und auf seine intellektuelle Orientierung. Die scheinbar naiven Zeichnungen gewinnen so betrachtet eine vergessene Bedeutung.